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Öffentliche Stellungnahme des Bürgermeisters zur geplanten „Kulturstiftung Mitteldeutschland Schlösser und Gärten“

Der Bürgermeister der Stadt Bad Liebenstein übt in einer offenen Stellungnahme Kritik an den Plänen zur geplanten Kulturstiftung Mitteldeutschland. Aus mehreren Gründen lehnt er die vorgesehene Gründung einer Großstiftung mit dem Land Sachsen-Anhalt ab. Die damit verbundene Auflösung der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten widerspricht seiner Auffassung nach dem Thüringer Kulturkonzept und steht dem Selbstverständnis der Thüringerinnen und Thüringer entgegen. Es widerspricht der Einheit des Thüringer Kulturerbes und bildet für die mit der Residenzlandschaft verbundene kommunale Wertschöpfung einen bürokratischen Hemmschuh. Die vollständige Stellungnahme finden Sie untenstehend im Volltext und als PDF zum Herunterladen.

Bad Liebenstein, den 19. Mai 2020

Öffentliche Stellungnahme
zum Entwurf des Staatsvertrages über die Errichtung einer „Kulturstiftung Mitteldeutschland Schlösser und Gärten“(KMSG-StV)

Sehr geehrter Herr Minister Hoff,

als Bürgermeister der Stadt Bad Liebenstein mit ihren zur Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten gehörenden Ensembles „Schloss und Park Altenstein“ und „Burgruine Liebenstein“ erlaube ich mir zur geplanten Kulturstiftung Mitteldeutschland Stellung zu nehmen. Aus mehreren Gründen lehne ich die vorgesehene Gründung einer Großstiftung mit dem Land Sachsen-Anhalt ab. Die damit verbundene Auflösung der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten widerspricht erstens dem Thüringer Kulturkonzept und steht dem Selbstverständnis der Thüringerinnen und Thüringer entgegen. Es widerspricht zweitens der Einheit des Thüringer Kulturerbes und bildet drittens für die mit der Residenzlandschaft verbundene kommunale Wertschöpfung einen bürokratischen Hemmschuh. Meine ablehnende Haltung möchte ich nachfolgend ausführlich darlegen.

Thüringer Pflicht- und Selbstwertgefühl

„Jedes Schloss ein Symbol Thüringens – jeder Bürger ein Schlossherr“: So steht es im Leitbild der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten als eine der vier Grundsäulen ihres gesellschaftlichen Auftrages. Das Thüringer Kulturkonzept wiederum formuliert Kultur in seinem Leitbild als wesentliche Grundlage für gesellschaftliche, wirtschaftliche und wissenschaftliche Entwicklungen, als Kern der Thüringer Identität und als Zukunftsperspektive:

Das Kulturland Thüringen bietet im Zusammenwirken von Kultur, Wirtschaft, Tourismus, Bildung und Wissenschaft attraktive Zukunftsperspektiven für alle Bürgerinnen und Bürger. Diese Zukunft gemeinsam zu gestalten, ist ein entscheidendes Handlungsfeld für die Politik im Land und in den Kommunen. Hierbei setzen wir auch auf eine aktive Zivilgesellschaft, auf das Engagement von Bürgerinnen und Bürgern.

Viele Thüringerinnen und Thüringer haben diesen Grundsatz verinnerlicht. Die Sorge um die eigenen Burgen, Schlösser, Gärten und Kulturdenkmäler ist im Selbstverständnis der Thüringer fest verankert. Gemeinsam stehen sie ein für die Pflege und Erhaltung der historischen Anlagen. Sie diskutieren über Thüringens kulturelles Erbe, über Blüte und Verfall der Hofkultur und über Baukultur. Nach der Wiedergründung des Landes Thüringen vor 30 Jahren sind die Fragen nach dem Vermächtnis einer vergangenen Epoche, nach dem Umgang mit den Burgen, Schlössern und Gärten in der Zeit der DDR und nach dem Wert und der Sinnhaftigkeit von Denkmalpflege Teil eines kollektiven Verständnisses der Thüringer geworden. Die Menschen vor Ort verfolgen aktiv die Entwicklungen, nehmen am Diskurs teil, sind über Baufortschritte erfreut. Fast jede Liegenschaft der Thüringer Schlösserstiftung wird mittlerweile begleitet von Fördervereinen, Ehrenamtlichen, Zustiftern und Mäzenen. Der jährlich verliehene Christian-August-Vulpius-Preis der Thüringer Schlösserstiftung, der im vergangenen Jahr das 16. Mal verliehen wurde, trägt diesem Engagement Rechnung. All das ist Ausdruck einer tiefen Identifikation mit dem Thüringer Kulturerbe und mit dem Land Thüringen. Darauf konnte sich die Thüringer Schlösserstiftung stets verlassen und diese Beziehung hat sie aktiv gepflegt, ja sie hat in Zeiten von Finanzknappheiten sogar darauf gebaut. Dies konnte sie, weil die Mitarbeiter in den Liegenschaften selbst in ihrer Heimat dieses Pflichtgefühl durchdrang und den Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort stets gehalten haben. Doch nicht nur das: Die Burgen, Schlösser und Gärten in Thüringen stehen sinnbildlich für die Entwicklung des Landes. Sie stehen symbolisch als öffentliche Aufforderung, selbstbewusst und stolz auf unser Thüringer Kulturerbe zu blicken, und es selbstverantwortlich, mutig, engagiert und kreativ in die Zukunft mitzunehmen. Für unzählige gemeinnützige Vereine und Privatpersonen im ganzen Land entfaltet die Stiftung zudem Signalwirkung: Sie nehmen sich aktiv der vielen kleinen oder vergessenen Kultur- und Baudenkmäler auch außerhalb der Stiftungsliegenschaften an. Sie kümmern sich mit einer erstaunenswerten Selbstverständlichkeit um ihren Erhalt, ihre Sanierung und Wiedersichtbarmachung in der Öffentlichkeit. Genau das ist das Bewusstsein, dass Landräte und Bürgermeister vor Ort in den Kommunen wahrnehmen. Wenn die Pflege des Kulturerbes nun zu einer mitteldeutschen Aufgabe werden soll, geraten das Bewusstsein und der Wille des Einzelnen zur Teilhabe an der Landesentwicklung in den Hintergrund. Der persönliche Bezug und die Motivation lassen langfristig nach. Dieses Phänomen kennen wir im kommunalen Bereich aus den Erfahrungen von Gebietsreformen, bei denen unter Zwangsbedingungen unverhältnismäßig große Kommunen entstehen und das bürgerschaftliche Engagement und die Identifikation mit dem eigenen Ort im Kleinen nachlässt.

Kein gemeinsames Kulturerbe

Gibt es bei dem Projekt einer Mitteldeutschen Stiftung überhaupt eine gemeinsame kulturhistorische Grundlage? Eine Klammer, die ein Zusammenwachsen fördert? Ansatzpunkte gäbe es mit dem Herrschergeschlecht der Wettiner oder der Reformationsgeschichte grundsätzlich. Der Entwurf des Staatsvertrages lässt aber jede kulturhistorische Verbindung vermissen. Die Wartburg und die Lutherstätten in Sachsen-Anhalt befinden sich in jeweils eigenen Stiftungen und sind nicht Teil einer neuen Großstiftung. Überhaupt, müsste in einem ernstzunehmenden Vorhaben einer Mitteldeutschen Stiftung nicht auch der Freistaat Sachsen mit seinen Burgen, Schlössern und Parks eine Rolle spielen? Warum hat der Freistaat Sachsen von vornherein eine Beteiligung an diesem Projekt abgelehnt? Bei der Aufzählung aller Liegenschaften, die zukünftig von der neuen Großstiftung mit Sitz in Halle und Aufsicht in Magdeburg betreut werden, gibt es kein Narrativ von einem gemeinsamen Kulturerbe. Was hat die Veste Heldburg mit Schloss Bernburg zu tun? Was hat das Jagdschloss Letzlingen mit Schloss und Park Altenstein zu tun? Es bedarf schon eines Griffs in die argumentative Trickkiste, um ein gemeinsames Kulturerbe zu begründen. Ein verbindendes Narrativ, wie es zum Beispiel die Hohenzollerndynastie bei den Liegenschaften der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin und Brandenburg darstellt, gibt es in der geplanten Großstiftung nicht. Kritiker mögen dem entgegenhalten, dieses Narrativ gäbe es für die Liegenschaften in der Thüringer Schlösserstiftung auch nicht. Weit gefehlt! Für eine gemeinsame Pflege aller Thüringischen Stiftungsliegenschaften steht symbolisch das Landeswappen des Freistaats mit dem Thüringer Löwen und den acht silbernen Sternen. Diese Sterne haben Verfassungsrang und sind in Artikel 44 Absatz 2 der Thüringer Landesverfassung festgelegt. Sie symbolisieren die vormaligen acht Einzelherrschaften, aus denen das Land Thüringen zum 1. Mai 1920 (noch ohne preußische Gebiete) bzw. im Rahmen der Wiedergründung zum 3. Oktober 1990 historisch hervorgegangen ist. Sie sind das Bekenntnis zu einem gemeinsamen Staats- und Kulturraum namens „Thüringen“ und sie sind ein verfassungsimmanenter Imperativ – eine Aufforderung an alle Bürgerinnen und Bürger und an alle staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen, ein gemeinsames Verständnis von Thüringischer Landes- und Staatsidentifikation auszuprägen. Das gilt nicht nur für den immateriellen Bereich, sondern ganz konkret auch für das baukulturelle und höfische Erbe der hinterlassenen Residenzlandschaft. Diese kleinteilige und über das gesamte Territorium des Freistaats verbreitete Residenzlandschaft macht das identitätsstiftende Wesen Thüringens aus – manchmal abschätzig als Ausdruck einer Thüringer Kleinstaaterei bezeichnet, zuweilen aber auch neidvoll als kulturell bereichernde Vielfalt verstanden. Sie ist einzigartig in Deutschland. Diese Erkenntnis hat immer noch nicht die gewünschte Verbreitung gefunden. Umso mehr wäre es ein Fehler von historischer Dimension, ein unheilvolles Fanal, wenn im Jahr des 100. Geburtstags des Freistaats Thüringen die für die Betreuung der Residenzlandschaft zuständige Stiftung aufgelöst wird, sie ihren Namen verliert, ihren Sitz nach Sachsen-Anhalt verlegen muss, sich unter die Stiftungsaufsicht des Nachbarlandes stellen muss und die Stiftungsleitung nicht mehr von Thüringen bestimmt werden darf. Dieses Verhandlungsergebnis gleicht einer kulturpolitischen Selbstaufgabe.

Kommunale Wertschöpfung

Schließlich möchte ich aus kommunaler Sicht auf einen Aspekt hinweisen, der in den Überlegungen zu einer Großstiftung bisher offensichtlich nicht vorkommt. Wer sich mit dem Erbe der Residenzkultur befasst, muss immer auch das örtliche Umfeld im Blick behalten! Wie sehr sich die Bürgerinnen und Bürger in den Thüringer Liegenschaftskommunen, Vereinen, Sozialeinrichtungen und Gewerbebetrieben mit „ihren“ Schlössern und Gärten identifizieren, ist bislang nicht hinreichend gewürdigt worden. Dabei geht es nicht nur um das Freizeit- und Veranstaltungsangebot, das Museen und Parks in den Liegenschaften den Einwohnerinnen und Einwohnern sowie Gästen anbieten. Es geht nicht nur um den Erhalt einer Baukultur und die Erinnerung an eine höfische Existenz früherer Epochen. Es geht auch um die Teilhabe an der regionalen Wertschöpfung. Es geht um Mitsprache, um das Gefühl, vor Ort ernst genommen zu werden. Literatur- und Musikveranstaltungen, Hochzeiten und Jubiläumsfeierlichkeiten, Baudenkmalpflege und Museumspädagogik sorgen dafür, dass Künstler und Handwerker, Gärtnereien und Gastronomiebetriebe, Landschaftsgärtner, Restaurateure, Baufachbetriebe und Bildungseinrichtungen vor Ort an der Entwicklung der Liegenschaften und der Erhaltung des kulturellen Erbes partizipieren. Lokale und regionale Wertschöpfung erfordert eine enge und mitunter dezentrale Abstimmung aller Beteiligten – von Planern, Handwerkern, Verwaltung und Stiftungsgremien. Die Reduzierung des derzeitigen Stiftungssitzes Rudolstadt auf einen reinen Bauverwaltungsstandort – an dem unter Umständen gar keine eigenständigen Entscheidungen getroffen werden dürfen und stets die Zentralverwaltung der Stiftung in Halle eingebunden werden müsste – wird für enorme praktische Problem sorgen: Entscheidungswege verlängern sich und sorgen für Verdruss bei den lokalen Akteuren. Seien dies die Ehrenamtlichen, die sich in Fördervereinen oder als Privatpersonen liebevoll um die Liegenschaften kümmern, seien es die oben Erwähnten, die ein wirtschaftliches Interesse haben. Die Wertschöpfung im Umfeld der Thüringer Residenzen braucht Nähe, nicht Ferne. Die geplante Großstiftung in Halle ist ein bürokratischer Hemmschuh. Sie schafft Ferne, nicht Nähe.

Wenn wir das gemeinsame kulturhistorische Erbe in Thüringen nutzbar machen wollen, wenn wir aus dem Erbe einen Nutzen für die Gegenwart und für die Zukunft ziehen wollen, dann müssen wir neben der kulturpolitischen Perspektive auch eine kommunale Perspektive einnehmen – eine „Vor-Ort-Perspektive“. Denn die Liegenschaften befinden sich alle in einem lokalen Kontext und haben damit auch eine lokale ökonomische und ökologische Relevanz. Als Beispiel dient die Tradition des Hoflieferantenwesens. Die meisten Liegenschaften der Thüringer Schlösserstiftung befinden sich im sogenannten ländlichen Raum. Ein ländlicher Raum, der in Zeiten der Hofkultur mit reichhaltiger landwirtschaftlicher Erzeugerqualität überzeugen konnte und der maßgeblichen Einfluss auf die Thüringer Tischkultur hatte. Von den kulinarischen Spezialitäten bis hin zu den Glas-, Porzellan-, Metall- und Besteckutensilien. Diese ländlichen Räume werden heute teilweise als strukturschwache Gebiete eingeordnet. Die vielfältige Residenzlandschaft ist eine Chance, wieder stärker den Fokus auf diese ländlichen Räume zu legen, gerade in der aktuellen Krise. Aus der Tradition des Hoflieferantentenwesens müsste die örtliche Land-, Forst- und Viehwirtschaft wieder stärker in das Bewusstsein gerückt und an der Wertschöpfung angeschlossen werden. Direktvermarktung von Obst und Gemüse, von Gebäck-, Wurst- und Fleischspezialitäten oder Erzeugnissen von Manufakturen werden viel zu wenig in den Kontext der Thüringer Residenzlandschaft gestellt. Wo dies gelingt, wie etwa bei dem Thema der Porzellanwelten auf der Leuchtenburg in Kahla, wird die lokale Wertschöpfungskette gestärkt, profitieren Gastronomen, Beherbergungsbetriebe, Bäcker, Fleischer, Werbefachleute, Reinigungsdienstleister, Handwerksbetriebe usw. Anstatt eine bürokratische Großstiftung zu planen, wäre es angebracht, die teils versiegten Wertschöpfungsketten im Umfeld der Residenzen zu reaktivieren. Sie sind ebenso Teil unseres Thüringer Kulturerbes wie die Residenzen selbst. Und aufgrund der „Thüringer Kleinstaaterei“ waren sie an vielen Orten im Land ein regionaltypisches Merkmal. Das gleiche gilt zum Beispiel für die im Land verbreiteten zahlreichen Theater und Heilbäder, die im Umfeld der Hofkultur entstanden und ihrerseits wiederum Wertschöpfungsketten im ländlichen Bereich in Gang setzten. Es ist falsch, zu glauben, dass man diese historisch geprägten Wertschöpfungsketten stärkt, indem man die Thüringer Schlösserstiftung auflöst und in größeren Strukturen aufgehen lässt. Besser wäre es, die Aufgaben der Stiftung neben der kulturhistorischen Perspektive zukünftig stärker auch aus einem infrastrukturellen und volkswirtschaftlichen Blickwinkel zu betrachten, wie es die damaligen Landesherrschaften zu ihrer Zeit bereits getan haben. Es wäre der richtige Zeitpunkt, die Thüringer Schlösserstiftung in diesem Sinne zu stärken, nicht aufzulösen.

Ich plädiere daher dafür, das Projekt einer gemeinsamen Großstiftung mit dem Land Sachsen-Anhalt aufzugeben und beim Bund dafür zu werben, die in Aussicht gestellten Mittel direkt an die bestehenden Landesstiftungen auszureichen oder sie für konkrete Projekte der Stiftungen zu verwenden. Es gibt keinen verfassungsrechtlichen Aspekt, weshalb dies mit Zustimmung der jeweiligen Länder nicht möglich sein soll. Soweit dies von Seiten des Bundes anders gesehen wird, wäre eine reine Förderstiftung, die die Souveränität der jeweiligen Landesstiftungen nicht berührt, eine geeignete Form des politischen Kompromisses.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Dr. Michael Brodführer
Bürgermeister

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